Liebes Reisetagebuch
Samstag, 19. September 2009
...wird endlich gut!
Verbotene Stadt, zweiter Versuch. Nachdem ich gestern unlustig schlapp gemacht habe, goenne ich mir heute den Audioguide und die Nebendistrikte. Der Name "Stadt" kommt nicht von ungefaehr, das Areal ist wirklich gross! Und tatsaechlich ist das Private spannender als das Repraesentative, wie bei jedem Koenigshaus...
Ich erfahre nach und nach vom Audioguide viel ueber harte Sitten und Intrigen, der Kaiser, der seinen unehelichen Sohn von einer Hofdame nicht als Nachfolger einsetzen wollte, bis seine Mutter ihm ins Gewissen redet: "Auch du bist der Sohn einer Hofdame!", dann darf aber der Nachfolger seine Mutter nicht mehr sehen, bis sie auf dem Sterbebett liegt; die Geschichte einer siebzehn Jahre aelteren Konkubine, die heimlich alle Schwangerschaften anderer Damen vereitelte, damit sie die Erste und Einzige fuer den Kaiser bleiben konnte - bis schliesslich ein Kind durchkommt, was dem darueber hocherfreuten Kaiser zugebracht wird. Die Konkubine laesst die Mutter und den Eunuchen, der das Geheimnis ausplauderte, allerdings umbringen. "Vielleicht haben Sie jetzt Mitleid mit der armen Mutter", raunt der Audioguide an mein Ohr, "aber Sie muessen bedenken, diese Intrigen waren nichts Besonderes im Palast, sondern ganz normal."
Naja, dann... dann ist ja alles in Butter.
Ansonsten sehe ich einige unvorstellbare Kostbarkeiten, zierliche Handarbeiten aus Edelsteinen und Gold - Esstaebchen und andere Gebrauchsgegenstaende, Bettstaetten und Schreibraeume, die mir das damalige Kaiserleben naeherbringen. Und am Ende verlasse ich die Stadt durch denselben Ausgang wie der letzte Kaiser.
Um nach diesem totalen Flash ein wenig zu relaxen, begebe ich mich in den einst kaiserlichen Ausflugspark in der Naehe, zu unzaehligen Seerosen am Teich, einem Ausblick ueber die Umgebung an der Weissen Pagode, und dem Anblick eines hierzulande typischen Hobbys: chinesische Wasserkalligraphie.
Der Strassenkuenstler fuehrt einen grossen Pinsel und einen Eimer mit Wasser bei sich und malt Schriftzeichen auf den Asphalt, immer wieder begutachtet von vorbeiziehenden Spaziergaengern. Uns mag es seltsam erscheinen, zu schreiben - wir kennen es nur, dass jemand Bilder auf die Strasse malt - aber chinesische Schriftzeichen sind Bilder, und wer die Kunst der Kalligraphie beherrscht, ist nicht wie bei uns, lediglich ein Schoenschreiber, sondern ein begabter Maler.

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Was lange waehrt...
Am vorletzten Tag in Beijing habe ich es endlich geschafft: Ich betrete die Verbotene Stadt! Ich muss allerdings zugeben, dass es keine Liebe auf den ersten Blick ist, denn der Aufbau gleicht russischen Puppen. Ich eile treppauf, treppab zu verschiedenen aufeinanderfolgenden Raeumen: "Das war frueher mal das Empfangszimmer, dann das Buero, dann das Schlafzimmer, die Banketthalle..." In jeder Halle steht irgendein Thron, die Leute glucken davor und fotografieren... im Plan steht, dass sich die Kaiser eher in den seitlich gelegenen, privaten Gemaechern aufgehalten haben, weniger in dem reprasentativen Teil. Kann ich gut verstehen, von dem bin ich naemlich auch wenig erbaut! Tatsaechlich bin ich irgendwann ermuedet und verlasse die Stadt fuer heute (Fortsetzung folgt!), um mir noch Kunstgalerien anzusehen und dann abends in die Peking-Oper zu gehen!
Leider gibt es an dem Abend keine Vorstellung als ganzes Stueck, sondern "nur" das Touristen-Medley. Allerdings bieten sie einem dafuer Einblicke, die man sonst nicht hat: Man kann sehen, wie sich die Schauspieler vor der Vorstellung schminken - mit genau gefuehrten Pinselstrichen malen sie eigenhaendig vor dem Spiegel ihre kunstfertigen Masken, nur wenige Meter entfernt, und zucken ob zahlreicher Kamerablitze nicht mal mit der Wimper, wodurch sie bereits eine erste Kostprobe ihrer Koerperbeherrschung geben.
Vor der Vorstellung erleben wir die Musiker auf der Buehne - auch ein seltener Anblick, da sie im Gegensatz zur westlichen Oper nicht in einem Orchestergraben einzusehen sind, sondern fuer das Publikum unsichtbar auf der Seitenbuehne spielen. Nach einer kurzen Darbietung ziehen sie sich auf selbige zurueck, und wir beobachten zwei Kurzstuecke - mit englischer Uebertitelung. Hauptattraktion ist hierbei weniger die Handlung oder Gesang, als Situationskomik und unglaublich praezise aufeinander abgestimmte akrobatische Leistungen. Obwohl ich mir ein ganzes Stueck oder eine durchgaengige Geschichte gewuenscht habe, bin ich davon dennoch sehr beeindruckt, insbesondere von dem weiblichen Darsteller (ein Mann in einer Frauenrolle), der seine krassen Kampfeinlagen mit deutlich femininem Gestus unterstreicht. Aber von wegen "You fight like a girl", eleganter und schwungvoller kann man nicht gegen eine Horde Gegner antreten.

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Auf der Mauer, auf der Lauer
Frueher ein Bollwerk gegen Feinde, heute ein Treffpunkt der unterschiedlichen Nationen - ein jahrhundertealtes Bauwerk der Geschichte.
Tatsaechlich ist die grosse Mauer aus der Naehe betrachtet nicht gross - die Berge, auf denen sie steht, sind hoch, aber die Mauer an sich nicht. Im Chinesischen heisst sie naemlich "lange Mauer" und nicht gross - der Anblick ist allerdings schon grossartig!
Davor steht jedoch eine Busfahrt, da es nicht zum ueberfuellten Mauerabschnitt direkt bei Beijing geht, sondern etwas weiter, nach Mutianyu. Dieser Abschnitt ist restauriert, waehrend der noch weiter gelegene in Simatai etwas fuer die Rustikalen darstellt!
Da ich nicht so der Wanderfreak bin, entscheide ich mich spontan fuer die Weichei-Route mit fettem Aufstieg am Ende...
Nach der Busfahrt gelangen wir durch die vielen Haendler am Wegesrand ("One T-Shirt, one dollar!" mit ansprechendem Mao-Motiv oder Kommunistenstern) zum Eingang. Dort werde ich von zwei chinesischen Touristen fuer ein Foto abgefangen, zwecks Voelkerverstaendigung reichen wir einander vor dem Eingangsstein die Hand. Die zwei Hong Kong-Chinesinnen verstehen nicht ganz, warum ich dazu auserkoren wurde ("I'm a celebrity"). Im Gegensatz zu ihren Landsleuten sehen sie ueberall und jederzeit Westler, waehrend andere sowas nur mal im Fernsehen gesehen haben. Manchmal sind Fotoanfragen und Interesse schoen, manchmal komme ich mir vor wie ein freilaufendes, exotisches Tier im Zoo... in diesem Fall war es gut: Voelker aller Laender, vereinigt euch!
(Auf dem Foto in der Bildergalerie sind Schriftzeichen auf dem Huegel im Hintergrund - ich habe mir sagen lassen, dass es "Gehorche Mao" bedeutet - natuerlich!)
Es ist schwer zu beschreiben, was man empfindet, wenn man schliesslich etwas zum Greifen nah vor sich hat, von dem man bisher nur getraeumt hat und das fast schon einen ikonischen Wert besitzt.
Ich habe die Wanderung sehr genossen, einer der schoensten Teile meiner Reise, aber wenn ich die Fotos nicht haette, wuerde ich wahrscheinlich immer noch denken, dass ich nur im Traum da war.

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